Multisensorisches Marketing spielt eine Schlüsselrolle im globalen Wettbewerb

Interview mit Martin Lindstrom, internationaler Markenberater und -visionär

Multisensorisches Marketing spielt eine Schlüsselrolle im globalen Wettbewerb

Martin Lindstrom

Blue Chip Consultant, Autor international gefeierter Fachbücher, ausgebuchter Referent – Martin Lindstrom (40) bespielt ein breites Spektrum. Mit dem Best Seller „Brand Sense – Build Powerful Brands through Touch, Taste, Smell, Sight and Sound“ legte er bereits 2005 ein trag- und ausbaufähiges Fundament für multisensorisches Marketing. Ein Lieblingsthema des gebürtigen Dänen, der als Brand Futurist globale Marken wie LEGO, Nestlé, Walt Disney Company, Microsoft, Mercedes Benz oder McDonald’s berät.

Denn in der Ansprache aller Sinne liegt für Lindstrom einer der wichtigsten Schlüssel zur Zukunft des Marketings. Zudem eröffne Sensory Branding einen Königsweg für die Boden verlierenden „alten“ Wirtschaftsmächte, um sich auf globaler Ebene neu zu positionieren. Was allerdings voraussetzt, dass dem Wissen zügig Taten folgen.

2008 stürmte Lindstrom mit „Buy-ology“ erneut die Best Seller Charts. Im Fokus: der Blick ins Gehirn des Konsumenten, von USA Today zur „Wahl des Jahres“ gekürt. Im Folgejahr wählte das TIME Magazine den Vollblutwerber unter die 100 einflussreichsten Leute der Welt. Anlässlich der Kongresspremiere des multisense® Forums am 19.9.2010 in Essen begeisterte Lindstrom das Publikum als Key Note Speaker und nahm sich Zeit für ein paar offene Wort zur Entwicklung des Marketings in Deutschland.

Multisense Institut: Hallo Mr. Lindstrom, von woher kommen Sie gerade eingeflogen?

Lindstrom: Aus Großbritannien, frisch heute Morgen gelandet.

Multisense Institut: Großbritannien gilt seit langem als Pioniermarkt für kreative Werbekommunikation – ist das immer noch so? Und wo würden Sie im Vergleich die deutsche Werbe- und Marketingwelt positionieren?

Was Kreativität betrifft, ist man in Großbritannien definitiv weiter als hier. Allerdings hat Deutschland meiner Ansicht nach bei zwei anderen Aspekten die Nase vorn. Zum einen haben die Leute in Deutschland angefangen, mehr Bewusstsein für die sensuellen Aspekte im Marketing zu entwickeln als in den meisten anderen Ländern Europas. Zum anderen betreibt man hier besser und intensiver Forschung, was ich bei meinen neurowissenschaftlichen Studien zu Werbethemen immer wieder feststellen konnte.

Spricht man über Führungsrollen in den Wissenschaften, hat Deutschland sicherlich den Lead, wenn es um neurowissenschaftliche Forschung geht. Das bedeutet, dass Sie in diesem Bereich große Vorteile gegenüber Großbritannien oder auch der USA haben. Und das ist großartig, denn die Neurowissenschaften belegen erstmals, wie immens wirkungsvoll ein alle Sinne ansprechendes Marketing ist. Nie zuvor waren wir in der Lage, das zu bestätigen – diese beiden Bereichen werden immer mehr miteinander verschmelzen.

Und darin liegt auch deshalb eine so große Chance für Deutschland, weil hier u.a. globale Automobilunternehmen ansässig sind und die Warenwelt so riesig ist ... insofern sollte Deutschland eigentlich tatsächlich den Lead übernehmen können.

Multisense Institut: Eine motivierende Sichtweise. Auch eingedenk der Entwicklung, dass multisensorisches Marketing als neuer Königsweg zum Konsumenten zwar teils schon auf dem Radar ist, aber doch noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Da dürfte die wissenschaftliche Belegbarkeit eine Schlüsselrolle spielen.

Lindstrom: Ja, sie macht den entscheidenden Unterschied aus. Ich denke, Sie brauchen in Deutschland eine wissenschaftliche Basis, zu der auch die Community Zugang hat. Denn mit diesem Rüstzeug wird es viel leichter, die Marketingverantwortlichen zu überzeugen.

Multisense Institut: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das multisense® Forum?

Lindstrom: Das ist ein sehr, sehr gutes Projekt. Ich liebe es. Und ich muss zugeben, dass ich von multisense® sehr beeindruckt bin. Beim Technikcheck am Morgen haben ich bereits das ganze Set-up gesehen - großartig! Allerdings macht mich traurig – und Sie können entscheiden, ob Sie diesen Punkt zitieren ob nicht –, dass nicht noch mehr Leute zur Premiere gekommen sind.

Multisensorisches Marketing ist nicht nur in Deutschland ein Thema, es ist ein genereller Trend rund um die Welt, mit Ausnahme einiger weniger Länder. In den USA bricht dieser Trend jetzt durch, auch in Japan und Korea, ebenso in den asiatischen Ländern, allen voran Indien. In China, wo ich viel Zeit verbringe, steht Sensory Marketing ebenfalls im Fokus. Mein Buch „Brand Sense“ wurde in China kopiert und illegal in Mandarin übersetzt, bevor es legal übersetzt wurde, weil es dort so ein großes Thema ist. Und im Moment ist Brand Sense eines der bestverkauften Fachbücher in China.

Es ist sehr interessant zu sehen, dass die neuen, jetzt durchbrechenden Länder wirklich verstanden haben, wie wichtig das Thema ist. Und das irritiert mich hier. Lassen Sie uns offen sprechen. Deutschland ist ein sehr etabliertes Land mit sehr viel solidem Business. Aber wie werden Sie sich von all den Ländern differenzieren, die Dinge billiger, schneller, effizienter produzieren können? Und da spielt Marketing, das alle Sinne entspricht, eine Schlüsselrolle.

Das heißt, wenn die Leute hier das nicht verstehen und anfangen damit zu arbeiten, dann werden China und Indien Sie überholen – und sie sind bereits auf dem Weg dazu. Ich habe in diesen Ländern ähnliche Konferenzen wie multisense® erlebt, zu denen 10.000 Leute kamen. Ein Riesen-Unterschied, und dabei waren diese Veranstaltungen qualitativ weit weniger gut als Ihre. Die Qualität des multisense® Kongresses ist im Vergleich sehr hoch - würden Sie diese Qualität woanders bieten, Sie hätten einen riesigen Zulauf.

Der größte produzierende Konzern der Welt hat unter den Namen „multisense“ bereits eine interne Abteilung eingerichtet. Um die Mitarbeiter und auch die Zulieferer zu schulen, wird jeden Monat eine weltumspannende Konferenz veranstaltet, alles zum Thema wird in internen Handbüchern festgehalten. Und das ist nur ein Beispiel aus meinem Kundenkreis.

Daraus sollte man lernen und sich bewusst sein, dass man aufgrund der Forschungsvorsprünge zur Zeit noch in die Führungsrolle schlüpfen kann.

Multisense Institut: Wo sehen Sie den Grund für diese Behäbigkeit? Ein Erbe glorreicher Vergangenheit? Deutschland hat als Wirtschaftsnation lange das Feld mit angeführt ...

Lindstrom: Ich denke, wir sind immer noch nicht richtig aufgewacht. Schauen Sie sich z.B. die Frankfurter Messen an. Mittlerweile gibt es in China Messen, die viel größer sind. Ich habe z.B. die World Exhibition besucht – gigantisch und so viel größer als alles andere. Aber statt aktiv zu werden, lassen wir die Fundamente durch unsere Finger fließen ... Die Autoindustrie entgleitet uns ebenfalls. Nach der Phase des extensiven Kopierens emanzipiert sich China zusehends. Wir haben unsere Führungsrolle in den letzten 30 Jahren als garantiert betrachtet, jetzt wird es Zeit aufzuwachen und uns neu abzugrenzen.

Multisense Institut: Das gilt wohl auch für den Nachwuchs, der teils nach ziemlich verstaubten Lehrplänen auf die Marketingpraxis vorbereitet wird ...

Lindstrom: Wir haben viele MBA-Absolventen, die die Szene betreten. Aber wer von ihnen wurde schon im Bereich multisensorisches Marketing unterrichtet? Und dann werden sie mit dem Thema konfrontiert und verstehen dennoch nicht die Relevanz, und darum ist sehr gut, dass jetzt die Forschung unterstützend wirkt.

Erschwerend kommt hinzu, dass reine Theorie bei diesem Thema nicht zielführend ist. Man braucht praktische Erfahrungen! Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Um radeln zu können, muss man selbst aufs Fahrrad gestiegen sein. Buchwissen reicht nicht. Man vergisst die Tatsache, dass wir multisensorisch orientiert sind, also auch entsprechend mit allen Sinnen lernen und praktische Erfahrungen sammeln müssen, statt nur akademisches Wissen anzuhäufen. Mit reinem Buchwissen läuft man sogar Gefahr, Marken zu zerstören.

Erst jetzt kommt langsam auf den Radar, dass man multisensorisches Branding mit allen Sinnen erfahren muss, um es zu lernen – ein so angelegter Unterricht setzt ebenso wie die Umsetzung von multisensorischem Marketing sehr viel Erfahrung voraus. Darum glaube ich, dass wir Sensory Courses kreieren und in den höheren Bildungsinstitutionen etablieren müssen. Falls man das nicht umsetzen kann, wird es schwierig, in Deutschland eine Kehrtwendung zu schaffen.

Multisense Institut: Was es nicht einfacher macht, sind die Denaturierungstendenzen in unserer Gesellschaft.

Lindstrom: Ja, man muss sich darüber klar werden und das Bewusstsein dafür schärfen, dass wir von unseren Sinnen abhängig sind. Schon wenn man einen Sinn auslässt, ändert sich die Art und Weise, wie man die Welt interpretiert. Lassen Sie z.B. alle Studenten für einen Tag mit verbundenen Augen agieren, und sie werden beginnen, die Welt ganz anders wahrzunehmen. Ich nutze diese einfache Übung oft in Unternehmen – z.B. nach dem Motto: Wir entwickeln eine ganz neue Marke, aber ohne sie sehen zu können, statt dessen konzentrieren wir uns auf Fühlen, Riechen usw. Neue Handys, Möbel und auch andere Consumer Produkte werden bereits auf diese Weise entwickelt.

Multisense Institut: Wie vertragen sich multisensorisches Marketing und die neue digitale Welt?

Lindstrom: Mir wird oft die Frage gestellt, wie die Sinne online genutzt werden können. Der erste weitere Sinn, der sich hier anbietet, ist natürlich Sound. Nehmen wir als Beispiel eBay. Ich gewinne eine Auktion, tolle Sache, aber da kommt kein Sound, der mich als Gewinner feiert. Und das obwohl ich aufgeregt bin. Schließlich habe ich gerade ein paar Ski zum halben Preis ergattert ... Warum wird dieses Gefühl nicht unterstützt? Oder ich gehe zu Amazon.de, kaufe ein Buch, gebe die Kreditkartennummer ein, aber es kommt keine Bestätigung via Sound, dass sie akzeptiert wurde. Warum? Beim Telefon oder Computer gibt es Navigationsgeräusche, ebenso Start up-Sounds beim PC oder Handy, aber im Web - nichts! Schon dieser kleine Schritt würde eine Menge bedeuten.

Eine weitere entscheidende Frage: Wie schafft man es, auf einer Website sinnliche Eindrücke, Gefühle zu wecken? Wenn ich auf einer klinisch-sterilen Website lande, übertrage ich diesen Eindruck auch auf das Produkt. Kann man Websites nicht wärmer und freundlicher gestalten?

Multisense Institut: Haben Sie einen Lieblingssinn? Welchen vermissen Sie im Marketing besonders?

Lindstrom: Mein Favorit ist der taktile Sinn. Schon ein Handschlag zwischen Ihnen und mir sagt so viel mehr als Ihr Aussehen und Ihr Verhalten aus. Was alleine schon ein lascher Händedruck kommuniziert. (Martin Lindstrom reicht eine flauschige Hand.) Diesen Eindruck speichern Sie doch sofort ab ... Darum drücke ich jetzt auf Reset und gebe Ihnen noch mal richtig die Hand ... Und dieses Beispiel zeigt auch, dass ein sekundenkurzer taktiler Eindruck alles negieren kann, was Sie vorher gedacht haben. Und so verhält es sich auch bei einem Produkt, bei allem. Die Bedeutung des taktilen Sinns ist riesig.

Darum hat auch meine Visitenkarte eine Textur, die einen sinnlichen Eindruck hinterlässt. Die meisten Visitenkarten haben das nicht, denn dann passen sie nicht in die Maschinen, es kostet extra usw. Ich gebe viel Geld aus, um sinnliche Aspekte in alles zu integrieren.

Denn – denken Sie an die Geburt – wenn wir das erste Mal die Augen öffnen, ist unser erstes sinnliches Erlebnis, an der mütterlichen Brust zu liegen. Das prägt uns nachhaltig. Auch wenn wir es immer mehr vergessen. Haptik ist viel wichtiger, als wir realisieren, und damit verschenken wir ein unerhörtes Potential.

Das Interview führte Sabine Wegner, Chefredakteurin Multisense Institut, Remscheid.

http://www.martinlindstrom.com

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